Oberto, conte di San Bonifacio (Entstehungsgeschichte)

Ob es sich hier um die Bearbeitung der früher erwähnten Oper Rocester (Lord Hamilton) handelt -verschiedene Verdi-Forscher sind der Meinung, die Oper sei verloren gegangen, jedenfalls konnte die Partitur (Autograph) bis heute nicht gefunden werden- kann erst endgültig festgestellt werden, nachdem das viele Material das sich bis vor kurzen in die Villa Verdi (Sant' Agata) befand... das sich aber inzwischen aus sicherheitsgründen in die Staatsarchiven von Parma und Piacenza befindet, ausgewertet worden ist. 

Bis es so weit ist, soll  was bis jetzt vorhanden und bekannt is, reichen.

Als junger Komponist musste Verdi sich noch an die Gepflogenheiten des damaligen italienischen Opernbetriebes halten, demzufolge ausschließlich die Impresarios -heute Intendanten- der Opernhäuser  entschieden,  welche Opern in der kommenden Saison zur Uraufführung kommen sollten. Und nachdem dann diesbezüglich eine entscheidung gefallen war, wurden die Besetzungen festgelegt und die Librettisten beauftragt in groben Zügen die Handlungen zu skizzieren. Falls dansch  die  Zensurbehörden die geplanten Opern akzeptierten, wurde die endgültige Libretti ausgearbeitet; der Komponist war diesbezüglich nur zweitrangig, musste aber wohl zumindest ein Bravourstück für die Primadonna produzieren. Und wenn die das missfiel, wählte sie einfach eine Arie aus ihrem Repertoire, die durchaus auch von einem anderen Komponisten stammen konnte. Ja, selbst wenn eine Oper von anderen Bühnen nachgespielt wurde, gab es „Anpassungen“ an die für die Produktion  vorhandenen Sänger.

Erst nach Verdis durchschlagendem Erfolg mit seiner dritten Oper Nabucodonosor (Nabucco) hatte er die Möglichkeit, Einfluss auf die Wahl des Stückes und das Libretto zu nehmen.

Über die Entstehung Oberto conte di San Bonifacio gibt es aber mehrere widersprüchliche Angaben.

Verdi selbst schrieb 1879 in seinen autobiographischen Skizze für seinen Verleger Giulio Ricordi darüber  dass ihm Pietro Massini, der in dieser Zeit das  Teatro Filodrammatico in Mailand leitete, ein Libretto übergeben hatte, das später von Temistocle Solera überarbeitet wurde. 1871 behauptete Verdi dagegen, dass der ursprüngliche Text von Antonio Piazza stammte und den Titel „Lord Hamilton“ trug.

Nach einem Brief Verdis aus dem Jahr 1834 ist nur sicher, dass er auf ein versprochenes Libretto wartete. Im Jahre 1836 scheint Verdi dann ein Libretto erhalten zu haben, fand aber zunächst nicht die Zeit zur Komposition, da er als Leiter der Musikschule in Busseto voll ausgelastet war.

Die Verdi-Forschung tut sich mit der Einordnung von Lord Hamilton schwer, obwohl ein Brief Verdis an Massini vom 21. September 1837 erhaltenist , in dem er von einem Libretto Antonio Piazzas mit dem Titel „Rocester“ berichtet und der Textverfasser darum bat, dass Libretto mit ein „il Duetto delle due donne (das Duett der beiden Frauen)“ zu erweitern. Allerdings enthalten weder das Uraufführungslibretto noch der Klavierauszug des Oberto ein solches Duett. Und aus diesem Grund kam der Verdi-Forscher Frank Walker zu dem Schluss, dass Rocester die verschollene erste Oper Verdis sei.

Zu einem völlig anderen Ergebnis kommt David Kimbell. Dieser wies darauf hin, dass das Quartett im 2. Akt des Oberto in Verdis Handschrift „Ursprünglich die Vokalstimmen als Eleonora, Cuniza, Rocester (!) und Oberto bezeichnete“. Verdi strich den Namen Rocester durch und ersetzte ihn durch Riccardo. Und da auch weitere Nummern des Oberto, die später gestrichen oder neu aufgenommen wurden, erhalten geblieben sind, ist es ebenso wahrscheinlich, dass der Oberto zunächst als „Rocester“ konzipiert war und erst nach der Umarbeitung durch Solera den Titel Oberto erhielt.

Eine direkte literarische Vorlage für Oberto ist nicht nachweisbar, obwohl das Ezzelino-Thema in den 1830er Jahren mehrfach behandelt wurde.

Möglicherweise war Giambattista Verdis 20 bändige Storia della Marca Trevigiani e Veronese, Venedig 1786, eine der Quellen der Librettisten.