Nabucco (Kommentar)
Nabucco ist eine Nummernoper. Auffälligerweise sind von den 15 Nummern allein vier für Chor, der auf eine neue und dramatische Weise eingesetzt wird, in Nr. 1 z. B. ein-, drei- oder siebenstimmig, je nach Inhalt und Protagonisten. Sechs Nummern zeigen die typische Form der vierteiligen Belcanto-Arie: einleitendes Rezitativ als Handlungsverortung, langsamer Arienteil (Cantabile), Szene als neuer Handlungsimpuls und Begründung für den schnellen Arienteil (Cabaletta). Das sind in reiner Form die Nummern 2 und 5, in etwas erweiterter Form die Nummern 4, 8, 10 und 12. Vier Gebete (in Nr. 6, 12, 14 und 15) bilden jeweils als Cantabile lyrische Ruhepole in emotionaler und energiegeladener Umgebung. Die Ouvertüre (Sinfonia genannt), die in Orchesterkonzerten oft außerhalb des Gesamtwerks gespielt wird, besteht größtenteils aus Themen aus der Oper, und zwar: Ächtung Ismaels durch die Hebräer (Nr. 7), Gefangenenchor (Nr. 11), Falschmeldung, dass Nabucco tot und Abigaille die neue Herrscherin sei (Nr. 5), Verstoßung Ismaels, nachdem er Fenena vor dem Opfertod gerettet hat (Nr. 4) und Abigailles Frohlocken, das den kranken Nabucco brüskiert und zur Kapitulation zwingt (Nr. 10). Danach werden die Zitate aus Nr. 7, 5 und 4 in vertauschter Reihenfolge wiederholt. Eine Bühnenkapelle wird in der Oper ausgiebig eingesetzt, sowohl für den Marsch der Babylonier, der Nabucco bei seiner Ankunft begleitet und später noch dreimal aufgegriffen wird, als auch für Fenenas Trauermarsch, der auch doppelt erklingt und mit seinem g-Moll aus dem As-Dur Umfeld deutlich heraussticht. Treibende, energiegeladene Rhythmen sind ein bemerkenswertes Merkmal eines Großteils der Musik, kontrastiert mit lyrischeren Momenten, die für dramatisches Tempo sorgen. Sowohl der Bass Zaccaria in seinem Gebet Vieni o Levita, einem ruhigen Stück mit der ungewöhnlichen Begleitung von sechs Celli, als auch der Bariton Nabucco in seiner Wahnsinnsszene und anderen Passagen erhalten Musik von großer Ausdruckskraft, die den Sängern hervorragende Möglichkeiten bietet, aber die Tenorrolle des Ismaele ist vergleichsweise unbedeutend, ungewöhnlich für eine Verdi-Oper. Die Musik für Abigaille ist äußerst anspruchsvoll und erfordert einen Sopran, der sowohl sehr tief als auch sehr hoch mit dramatischer Kraft singen kann und auch zu virtuoser stimmlicher Gestaltung fähig ist. Ihre Todesarie am Schluss wird im ersten Teil (e-Moll) grundiert durch eine dunkle, kreisende Cello-Melodie, während der verklärende Durteil durch helle Flötendreiklänge begleitet ist. Durch das Wiedereinsetzen des Cellos deutet Verdi an, dass Abigailles Hinwendung zu Jehova zu spät kommt. In feiner Charakterisierung hat Verdi mit viel handwerklicher Raffinesse einzelne Momente hervorgehoben. Im Finale des zweiten Teils (Nr. 8) ruft Fenena mittels einer Quintfallsequenz zu schnellem Handeln auf und der Schock über Nabuccos Hybris, sich als Gott verehren zu lassen, ist als zwölftaktiger Kanon der vier zentralen Solisten Nabucco, Abigaille, Ismael und Fenena gestaltet. Die Handlung steht, man singt sotto voce (für sich) und die Einsätze sind enggeführt, weil der neue Einsatz nach dem elften statt zwölften Takt erfolgt, die Figuren sich also nicht ausreden lassen. In Nr. 10 giftet Abigaille mit einer spanischen Kadenz gegen Nabucco, der kurz darauf kapituliert. Und das letzte Gebet aller Solisten (außer Abigaille) und Chor nach der Konversion Nabuccos und Rettung Fenenas in Nr. 15 ist als erhabenes a-cappella-Cantabile gestaltet.[2]



