Luisa Miller (Entstehungsgeschichte)

Nach Alzira sollte Verdi zwei neue Opern für Neapel schreiben, für die der Hausdichter des Teatro San Carlo, Salvadore Cammarano (1801–1852), die Libretti liefern sollte. Die Wahl fiel auf La battaglia di Legnano (Uraufführung 27. Januar 1849, Teatro Argentina, Rom) und Luisa Miller nach Friedrich Schillers Drama Kabale und Liebe (1783). Es war Verdis dritte Vertonung eines Dramas von Schiller nach Giovanna d’Arco (Libretto von Temistocle Solera nach Die Jungfrau von Orleans, 1845) und I masnadieri (Andrea Maffei nach Die Räuber, 1847), später folgte noch Don Carlos (Joseph Méry und Camille du Locle, 1867). Verdi bestätigte den Erhalt des Exposés zu Luisa Miller (damals noch Eloisa) am 17. Mai 1849 aus Paris. Er hatte offensichtlich vor, den ersten Akt, entgegen der damaligen Konvention, wie im Drama kurz und abrupt (d. h. ohne Cabaletta und Stretta) zu Ende gehen zu lassen. Cammarano, den Verdi immer mit Hochachtung behandelte, entsprach diesem Wunsch nicht und ließ noch acht Gedichtzeilen folgen, die Verdi zwar vertonte, die aber heute meist gestrichen werden. Das Quartett im zweiten Akt hat Verdi von Anfang an als A-cappella-Stück geplant, auch dies für die italienische Oper dieser Zeit etwas ganz Ungewöhnliches. Außerdem schreibt er: „Schließlich Wurm! Vergesst nicht, bei der ganzen Partie dieses letzteren jene gewisse Komik beizubehalten, die dazu beitragen wird, seinen Finessen und Ruchlosigkeiten größeres Gewicht zu geben!“ Auf diese Verdis musikdramatisches Können herausfordernde und zweifellos sehr interessante Idee ging Cammarano leider nicht ein. Das fertige Libretto schickte Cammarano am 15. August 1849. Verdi brach am 3. Oktober nach Neapel auf, um die Uraufführung vorzubereiten.

Wenn man das Libretto mit Schillers bürgerlichem Trauerspiel vergleicht, muss man sich vergegenwärtigen, dass der Opernbetrieb Italiens und die Verhältnisse am San Carlo zu dieser Zeit ganz bestimmte Vorgaben machten. Zunächst mussten alle politisch brisanten Passagen der Zensur wegen gestrichen und die Hauptfigur von Ferdinando in Rodolfo umbenannt werden, da der in Neapel regierende König beider Sizilien damals Ferdinand hieß. Sodann mussten Chorszenen geschaffen werden, die verlangten, dass einige Szenen „draußen“ und nicht wie bei Schiller alle in Innenräumen spielten. Das zur Verfügung stehende Personal erforderte, dass Rollen des gleichen Stimmfachs in eine Hierarchie gebracht wurden und nur mit ganz bestimmten Arientypen bedacht werden konnten. Deshalb musste der Gegenpart der Luisa, die Herzogin von Ostheim, gegenüber der Vorlage stark abgewertet werden, zum Schaden für die Dramaturgie des Stückes. Auch die drei Bassfiguren mussten in eine Reihenfolge gebracht werden. Verdi entschied sich für: Miller, Walter, Wurm. Cammarano ist ihm hierin gefolgt (Brief vom 17. Mai). Weil Wurm dadurch keine eigene Arie haben konnte, wirken seine Handlungen immer etwas unmotiviert. Hinzu kommt, dass Cammarano ohnehin eine Vorliebe dafür hatte, Libretti mit extremen Stimmungsumschwüngen und Brüchen zu schreiben. Auf Kosten dramatischer Stringenz und glaubwürdiger Charaktere schuf er so Anlässe für musikalische Ausbrüche von extremer Expressivität, ein Verfahren, das er in Il trovatore (1851–1853) auf die Spitze treiben sollte.